Yoga wird in unserer westlichen Welt oftmals nur als Asana-Praxis, also dem Halten von Körperpositionen, verstanden. Dabei umfasst der Weg des Yoga (Yoga Marga) einen ganzheitlichen Ansatz, der vom Grobstofflichen (Körper) zum Feinstofflichen (Geist) führt. 
 
Um einen Einblick in dieses größere Feld zu erhalten, lohnt es sich einen Blick auf die 4 Wege des Yoga zu werfen – Karma Yoga, Bhakti Yoga, Jnana Yoga und Raja Yoga. 

Karma – der Weg der Handlung

Der Karma-Yogi sucht seine Erlösung (vom ewigen Kreislauf der Wiedergeburten) bzw. seine Selbstverwirklichung in seinen Taten. 
 
Das Verständnis von Karma ist in der New-Age-Szene häufig fehlinterpretiert, wenn angenommen wird wir hätten ein “Karma-Konto” und irgendwer würde Buch darüber führen, wenn wir etwas richtig oder falsch machen, was später verstärkt in Form von uns dienlichen oder strafenden Ereignissen zu uns zurückkehrt. 
 
Karma bedeutet Handlung. Handlung, die eine bestimmte Wirkung für uns und unsere Umgebung entfaltet. 
 
In der Bhagavad-Gita wird deutlich, dass jede Handlung eine “Darbringung an Gott” und “frei von der Bindung an Ergebnisse” sein sollte. Das heißt wir befinden uns im Feld des selbstlosen Handelns, bei dem sich der Yogi weder von Erfolg oder Misserfolg noch vom Eigennutzen der Handlung leiten lässt. 
 
Karma-Yoga dürfen wir uns im Alltag praktiziert vorstellen, indem wir jede unserer Handlungen auf ein höheres Bewusstsein ausgerichtet ausüben, was allerdings voraussetzt, dass wir eine Verbindung zu unserem höheren Selbst kultiviert haben. Ansonsten wird uns immer das Ego den Weg zur Handlung nach seinem Verständnis von richtig und falsch weisen. Diesen wichtigen Aspekt werden wir im Anschluss an die 4 Wege noch ein wenig beleuchten. 

Jnana – Der Weg der Erkenntnis / des Wissens

Der Jnana-Yogi widmet sich dem intellektuellen Studium und möchte auf diese Weise zur höchsten Einheit gelangen. Es geht also auch hier darum sich selbst wirklich zu erkennen, seine eigentliche Natur hinter dem kleinen, von Allem getrennten Ego-Selbst. 
 
Jnana Yoga ist aber nicht nur das tiefe Studium von Wissen, sondern geht mit einem inneren Hören einher, das die Weisheit bringt. Dieses Wissen wird reflektiert (klassischerweise im Austausch mit einem spirituellen Lehrer). Nun ermöglicht die Meditation, mit ihrer Eigenschaft die Begrenzungen des Intellekts zu durchbrechen, zusammen mit dem Verwirklichen der Erkenntnis, das Ziel der Erleuchtung. So ist zumindest der Ansatz des Wissens-Yoga. 
 
Es lohnt sich hier eine Frage zu stellen: Wie unterscheiden wir wahrhaftiges von lücken- oder fehlerhaftem Wissen? 

Bhakti – der Weg der Hingabe

Der Bhakti-Yogi hält die Liebe und Hingabe zum Göttlichen als höchstes Wissen im Fokus, um die Selbstverwirklichung zu erlangen. Ohne Bhakti haben weder die Erkenntnis noch das Handeln einen tieferen Inhalt. 
 
Hingabe entsteht aus innerer und selbstloser Sehnsucht nach Einheit, bei der das Gefühl der Getrenntheit aufgelöst wird. Liebe um der Liebe Willen, mit der Erkenntnis, dass keine höhere Macht als die Liebe existiert und Ausdruck des Göttlichen ist. 
 
Allerdings stellt sich auch hier die Frage: was genau geben wir uns denn eigentlich hin, wenn wir im Normalfall im menschlichen Dasein von unseren Ego-Tendenzen sehr stark beeinflusst werden? 

Raja Yoga – der achtgliedrige Pfad 

Dieser taucht als zusätzlicher Weg in manchen Schriften auf, wird als “Königsweg” beschrieben und stammt aus den Yoga Sutras von Patanjali. Dabei geht es um Selbstbeobachtung und Selbstanalyse, die zur Beherrschung des Geistes führen sollen. Der Pfad beinhaltet mehrere Schritte, um Erleuchtung zu verwirklichen: 
 
1. Yama, die Haltung gegenüber Anderen 
2. Niyama, die Haltung uns selbst gegenüber 
3. Asana, die yogischen Körperübungen 
4. Pranayama, die yogischen Atemtechniken 
5. Pratyahara, das Nach-Innen-Lenken der Sinne 
6. Dharana, die Fähigkeit den Fokus auf einem Objekt des Gewahrseins zu halten 
7. Dhyana, die Fähigkeit sich mit diesem Fokus in der Meditation zu vertiefen 
8. all dies mündet in Samadhi, der vollkommenen Erkenntnis, einem überbewussten Zustand, der als höchstes Ziel beschrieben wird 
 
Swami Sivananda beschreibt das Ziel des Raja Yoga als “Zur Ruhe bringen der Gedankenwellen”, welcher an den Satz “Yogas Chitta Vritti Nirodh” – Einheit ist, wenn die mentalen Verzerrungen/Strudel im Geist zur Ruhe gebracht werden – aus Patanjalis Yoga Sutras erinnert. 
 
Im Raja Yoga wird also durch einen bestimmten Ablauf an Praktiken in Verbindung von Körper und Geist die Erleuchtung angestrebt. 
 
Falls Du Dich schon einmal gefragt hast was Erleuchtung eigentlich bedeutet, hier möchte ich meinen Lehrer Aaravindha Himadra zitieren:

“Erleuchtung bedeutet, jeden Moment so wahrzunehmen, wie er WIRKLICH ist”.

Klingt simpel, oder? Allerdings ist das gar nicht so einfach, wenn wir uns klar machen, dass unsere Wahrnehmung durch viele persönliche “Filter” läuft, die unsere vermeintliche Realität bilden. Diese Filter sind von unseren Erinnerungen, unserer Vorstellungskraft, unseren Begierden und Aversionen, also unseren Ego-Tendenzen und von unserem Gefühl darüber, wer wir meinen zu sein, geprägt. Aber dies ist ein weiteres Thema, das separat betrachtet werden könnte. 

Das fehlende Puzzlestück: 
 
Wie zuvor erwähnt gibt es eine Einschränkung – vor allem bei den ersten 3 Wegen. Und zwar den Knackpunkt, dass wir wissen sollten welcher Art von Handlung, von Wissen oder von Hingabe wir uns sinnvollerweise widmen. Es gibt so viel Wissen und Unwissen auf dieser Welt, so viele Lehren und Lehrer, die stetig ihren eigenen Brei kochen, so viel Verwirrung darüber, was wir uns hingeben sollen und das meiste davon basiert auf externen Quellen, denen wir versuchen zu vertrauen. 
 
Wer oder was aber sagt uns denn wann wir auf dem richtigen Weg sind? Die Antwort scheint simpel aber ist nicht zu unterschätzen: Unser menschliches Herz. Es hat die Fähigkeit zwischen leicht und schwer, zwischen Wahrheit und Illusion zu unterscheiden. So können wir erkennen, ob das, was wir hören/sehen/fühlen im Einklang mit dem Göttlichen steht oder nicht. Nur in der Amartya-Tradition ist dies als der Weg des Mitgefühls beschrieben und beinhaltet ein stetiges Üben verschiedener Methoden, um unsere Intuition wieder zu erlangen. Das fehlende Puzzlestück der beschriebenen Wege, das uns wahre Handlung, wahres Wissen und wahre Hingabe lehrt.